Landschaft in Holtkamp und Karte der Suchgebiete (aus www.amprion.net).
Quasi „über Nacht“ hat die Firma Amprion im März 2023 in Zeitungsanzeigen Kartierungsarbeiten angekündigt, um „Aufschluss über relevante umwelt- und artenschutzrechtliche Aspekte“ im Bereich der Gemarkungen Gütersloh-Hollen-Isselhorst-Niehorst, Bielefeld-Holtkamp, Halle-Künsebeck-Tatenhausen und Steinhagen-Brockhagenzu erhalten.
In den in der Bekanntmachung aufgelisteten Flurstücken sollen Biotoptypen, Fledermäuse, Brutvögel und Amphibien erfasst werden. In einer Informationsveranstaltung Ende April in Brockhagen wurde erläutert, dass ein „Phasenschieber“ benötigt werde, um das nördliche Übertragungsnetz von Amprion zu steuern beziehungsweise Überlastungen im Netz zu vermeiden und für eine optimale Netzauslastung sorgen. Als Teil der Energiewende sei diese Maßnahme im Bereich zwischen den bestehenden Umspannanlagen Hesseln und Gütersloh notwendig, um Strom von den Erzeugungsflächen an der Nordsee in die Verbrauchsflächen zu transportieren. Amprion ist einer von vier Übertragungsnetzbetreibern in Deutschland und unterhält ein Höchstspannungsnetz von 11.000 Kilometern. Details der Projektbeschreibung finden sich auf der Amprion-Homepage.
Nachfragen in der Infoveranstaltung erhellten die riesige Dimension der Anlage: Kernstück des Phasenschiebers sind zwei große, jeweils 310 Tonnen schweren Transformatoren sowie Drosselspulen, die von Schallschutzwänden umgeben werden sollen (es wird ein Schallwert von 80 dB erwartet). Offen sei, ob die Anlage freistehend oder eingehaust werde. Dafür wird eine ca. neun Hektar große Betriebsfläche benötigt (entspr. etwa 12 Fußballfelder), zusätzlich einer schwerlastgeeigneten Zuwegung für Baufahrzeuge und den Antransport der Transformatoren. Ein weiterer Flächenbedarf kommt durch die notwendigen Ausgleichsflächen hinzu, die im Verhältnis zwischen 1:1 und 1:4 liegen können.
Höchst irritierend ist, dass dieses Großprojekt weder bei Planung und Umbau der Hochspannungsleitung Hesseln-Gütersloh zur Höchstspannungstrasse, noch im Entwurf des Regionalplans zur Sprache kam. Hier soll ganz offensichtlich ein sensibles Projekt „durch die Hintertür“ unter Ausschaltung einer breiten Öffentlichkeit realisiert werden, denn das Verfahren soll laut NW vom 4. Mai 2023 nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz als vereinfachtes Genehmigungsverfahren und damit ohne direkte Öffentlichkeitsbeteiligung durchgeführt werden!
Wer sich also zu dem Projekt äußern möchte, muss dies auf anderem Wege tun, z.B. durch Eingaben bei Behörden und Politik, durch Demonstrationen und öffentliche Meinungsäußerungen, oder durch Unterstützung der Petition:
Das Aktionsbündnis hat eine Petition „Rettet den Naturraum Holtkamp-Ströhen - Für eine möglichst naturverträgliche Energiewende“ gestartet. Wir rufen dazu auf, diese Petition zu unterstützen!
Landschaft und Vogelwelt in Holtkamp-Ströhen (Fotos: J. Albrecht, H. Domass, A. Schäfferling).
Noch sind die Ergebnisse der von Amprion beauftragten Untersuchungen nicht bekannt. Bekannt ist uns allen aber sehr wohl der hohe naturschutzfachliche Wert des Naturraums Hollen-Holtkamp-Ströhen, auf den das Aktionsbündnis und der NABU bei der Demo am 11. Juli (siehe unten) hingewiesen haben! Wir erwarten, dass dieser hohe Wert auch durch die Untersuchungen bestätigt wird und werden genau darauf achten, ob diese sorgfältig und fachkundig durchgeführt wurden.
Schon seit Jahrzehnten führen der NABU Bielefeld, die Biologische Station Gütersloh-Bielefeld und weitere Naturschützer mit der Unterstützung von Landwirten dort grenzüberschreitende Artenschutzprojekte, insbesondere zum Schutz des Steinkauzes (vgl. z.B. NABU-Steinkauzprojekt, Infoseiten der Biostation über die Feuchtwiesen Ströhenund das NSG Deterings Wiesen) und weiterer seltener Wiesen- und Feldvögel durch.
Dadurch verfügen wir über eine exzellente Datengrundlage zur ökologischen Bewertung des Gebietes.
Noch finden sich dort neben dem Steinkauz u.a. Großer Brachvogel, Kiebitz und Rebhuhn. Der (noch) hohe Grünlandanteil, die Jahrhunderte andauernde, historische bäuerliche Bewirtschaftung und damit verbundene Landschaftsentwicklung sowie die überwiegend kleinteilige Struktur stellen für den Arten- und Biotopschutz ein hohes Gut dar, das anderswo nur noch selten zu finden ist. Allein die historische Landschaftsentwicklung als Voraussetzung für die Einwanderung der heute gefährdeten Arten kann nirgendwo sonst ersetzt werden. Die stark gefährdeten Wiesenvögel benötigen solche Strukturen, weshalb die Naturschutzverbände in ihrer Stellungnahme zum Regionalplan den Raum Hollen-Holtkamp-Ströhen als "Bereich für den Schutz der Landschaft mit besonderer Bedeutung für Vogelarten des Offenlandes" vorgeschlagen hatten. Diesem Vorschlag ist die Bezirksregierung bislang leider nicht gefolgt – etwa, weil dort im stillen Hintergrund schon über den Phasenschieber verhandelt wurde??
Die nachfolgenden Abbildungen zum Vorkommen von Wiesenvögeln und Steinkauz verdeutlichen, dass die Amprion GmbH mit dem Raum Hollen-Holtkamp-Ströhen ausgerechnet den weit und breit besten Hotspot der biologischen Vielfalt als Suchgebiet gewählt hat:
Abb. Links: Verbreitung der Wiesenvogelarten Kiebitz und Großer Brachvogel im Zeitraum 2004 bis 2022.
Abb. Rechts: Steinkauzreviere 2017/2020 im Naturraum Hollen-Holtkamp-Ströhen: Kartenauszug aus: Biologische Station Gütersloh/Bielefeld 2021: Wiesenvogelkartierung 2020; weiße Kreise = Reviernachweis 2017, orange Punkte = Reviernachweis 2020. Rotes Oval = Amprion-Suchraum.
Weitere Vorkommen geschützter bzw. bedrohter Vogelarten des (Halb-)Offenlandes, deren Populationen zumeist einen ungünstigen Erhaltungszustand aufweisen (vgl. dazu die Übersicht des LANUV), gibt es im Suchgebiet u.a. von Flussregenpfeifer, Knäkente, Rebhuhn, Wachtel, Weißstorch, Feldlerche, Heidelerche, Schwarzkehlchen, Neuntöter, Gartenrotschwanz und Kuckuck. Wir sind gespannt, ob die angekündigten Kartierungen entsprechende Ergebnisse erbringen, oder ob einiges davon „übersehen“ wird!
Nicht zufällig weisen alle drei berührten Kommunen im Suchgebiet mehrere Naturschutzgebiete und nahezu flächendeckend Landschaftsschutzgebiete auf. Dort ist es u.a. verboten, bauliche Anlagen zu errichten. Wir fordern, dort auch keine Ausnahmen für den Phasenschieber zuzulassen! Sämtliche in den Landschaftsplänen Bielefeld, Gütersloh und Steinhagen dargestellten Entwicklungsziele laufen der Nutzung für einen großflächigen Phasenschieber zuwider.
Hinzu kommen mehrere Geschützte Landschaftsbestandteile, zahlreiche gesetzlich geschützte Biotope sowie weitere schutzwürdige Biotope nach Landeskataster NRW. Selbst der Regionalplanentwurf OWL hebt den Raum als besonderen „Kulturlandschaftsbereich Holtkamp“ hervor mit als sehr hoch (herausragend) bewerteten Landschaftsbildeinheiten, ordnet weiten Teile des Suchraumes Biotopverbundstufen zu und stellt sie als Bereich zum Schutz der Natur (BSN) dar.
Im Fachbeitrag des LANUV zum Regionalplanentwurf ist der Naturraum als Unzerschnittener verkehrsarmer Raum (UZVR) der Größenklasse >10-50 km² ausgewiesen. In Bielefeld gibt es nur noch zwei weitere UZVR dieser Größenkategorie (geschweige denn größere Kategorien), was den Naherholungswert für Spaziergänger, Radfahrer und Reiter unterstreicht. Auch im Stadtgebiet Gütersloh ist diese Kategorie rar und damit unbedingt erhaltenswert. Größere Erschließungsmaßnahmen für schwerlastfähige Transporte beeinträchtigen oder zerschneiden jedoch die UZVR.
Im Naturschutzkonzept der Stadt Bielefeld ist der Raum Holtkamp durchweg als Naturschutz-Vorranggebiet oder als Landschaftsraum mit hoher Schutzfunktion ausgewiesen. Der Flächennutzungsplan Gütersloh 2020 stellt im Raum Ebbesloh-Hollen sowie nordöstlich von Isselhorst großflächig „Flächen zur Entwicklung der Natur“ dar. Diese Flächendarstellungen dienen der Sicherung und Entwicklung der ökologischen Funktionen der Freiflächen für den lokalen Biotopverbund, das Stadtklima und für die landschaftsgebundene Erholung sowie als Suchräume zur Anordnung von Ausgleichsflächen und stehen damit im harten Widerspruch zu einem großflächigen Phasenschieber.
Mehr Gründe, die eindeutig gegen die Versiegelung und Erschließung durch einen Phasenschieber im Naturraum Hollen-Holtkamp-Ströhen sprechen, sind kaum vorstellbar!
Angesichts der zahlreichen hochwertigen Merkmale von Natur und Landschaft verwundert die hohe Bedeutung für die landschaftsorientierte Naherholung der Bielefelder und Gütersloher Bevölkerung nicht. Die Wirtschaftswege werden vielfach für Radausflüge und Spaziergänge genutzt, es bestehen zahlreiche Reiteinrichtungen und Reiterhöfe sowie Hundeplätze. Ein optisch wie akustisch stark störender Phasenschieber würde zu einer deutlichen Entwertung und massiven Beeinträchtigung der Erholungseignung führen. Wirtschaftliche Schäden für Erholungseinrichtungen wären nicht auszuschließen.
Aus den geschilderten und gut dokumentierten Gründen wird der Bau eines großflächigen Phasenschiebers im Naturraum Hollen-Holtkamp-Ströhen nachdrücklich abgelehnt. Derartige emissionsträchtige Großanlagen sollten vorrangig an bereits vorbelasteten Standorten (hier vorrangig im Verbund mit vorhandenen Umspannwerken) erstellt werden und nicht neue Emissionsquellen in unbelasteten, hochwertigen und ruhigen freien Landschaftsteilen begründen. Wir lehnen das Vorhaben für den Naturraum Hollen-Holtkamp-Ströhen nachdrücklich ab und empfehlen, die Anlage an vorhandene vergleichbare Strukturen anzubinden.
Das Aktionsbündnis „Rettet den Naturraum Holtkamp-Ströhen“ rief zur Demo am 11. Juli 2023 um 17 Uhr an der Altstädter Nikolaikirche auf, um für die Erhaltung des Naturraumes Hollen-Holtkamp-Ströhen zu werben. Angesichts der vorgesehenen spärlichen Öffentlichkeitsbeteiligung im Verfahren war und ist es besonders wichtig und notwendig, öffentlichkeitswirksam auf diese weitere Bedrohung eines ökologisch wertvollen Gebietes hinzuweisen. Denn es ist nicht das erste Mal, dass in Holtkamp Ausnahmen zugelassen wurden – aktuelles Beispiel ist die eine Reitsportanlage, gegen die der BUND vehement (und hoffentlich erfolgreich!) kämpft.
Bilderstrecke von der Demo am 11. Juli 2023 in der Bielefelder Altstadt (Fotos: J. Albrecht).
Das Sonntagsvideo der Kirchengemeinde zum Thema „Naturschutz“ beschäftigt sich intensiv mit dem Konflikt Phasenschieber gegen Naturschutz, u.a. mit einem Gespräch zwischen Pfarrerin Kirsten Schumann, Kathrin Weber von „Aktionsbündnis Rettet den Naturraum Holtkamp-Ströhen“ und Jürgen Albrecht vom NABU Bielefeld. Der Gottesdienst kann online bei Youtube verfolgt werden.
Bilderstrecke zum Sonntagsvideo, aufgenommen an der Stadtgrenze Holtkamp-Ströhen am 19.7.2023